Tour: eine Woche Thüringen (Sonneberg, Saalfeld, Weimar, KZ Buchenwald, Gotha, Eisenach), 21.-26.06.2011



Das Forum von roller-forum.de existiert ja nun leider schon seit vielen Jahren nicht mehr. Doch 2011 führte mich eine dort getroffene Verabredung zu einem kleinen Rollertreffen auf diese schöne Tour in den Thüringer Wald. Von Regensburg her kommend ist Sonneberg ein logischer Einstiegsort für diese Tour. Von dort aus wollte ich über Saalfeld und Jena nach Weimar rollern und über Erfurt bis nach Niederdorla kommen. Von dort aus sind Gotha und Eisenach, das eigentliche Ziel der Reise, in problemloser Reichweite.

1. Tag
Am frühen Morgen des Fronleichnamstages (21.06.) stand zunächst kilometerfressen auf dem Programm. Raus aus Regensburg und auf der B8 nach Norden, vorbei an Neumarkt und Altdorf bis nach Lauf an der Pegnitz, um die Stadtdurchfahrt durch Nürnberg zu vermeiden. Von dort aus führte die Route in einem weiten Bogen durch Franken, vorbei an Forchheim und Bamberg bis nach Coburg. Alles schöne Orte, jede für sich eine Tour wert, aber diesmal aus Zeitgründen nur Wegpunkte auf dem Weg zur Landesgrenze nach Thüringen.
an der ehm. innerdeutschen Grenze bei Coburg


Kurz hinter Coburg steht ein Schild am Straßenrand. Vor nicht einmal einer Generation wäre hier das Ende der Reise erreicht gewesen. Doch glücklicherweise ist vom Eisernen Vorhang nichts übrig als dieses Schild. Die Zeit lässt die Narben der Geschichte langsam verheilen und es ist kaum noch zu erkennen, dass hier einst eine künstliche Trennungslinie das Land durchzog. Ich halte an diesem denkwürdigen Ort kurz an, mein Roller steht auf dem schmalen Grünstreifen neben der viel befahrenen Straße und zittert leicht im Wind, wenn die schweren Lastwagen an ihm vorbei donnern. Gehetzt von den Zeitplänen der Disponenten haben ihre Fahrer kein Auge für den merkwürdigen Gedenkort den sie soeben passieren.

Glücklicherweise gelten für mich andere zeitliche Maßstäbe als für die Trucker. Nach den eher trüben Gedanken an die Zeit des Kalten Krieges suche ich einen nahen Ort auf, der Herz und Seele erfreut. Kinder und Erwachsene zugleich werden von seiner Magie angezogen und verzaubert. Die Rede ist natürlich vom Spielzeugmuseum in Sonneberg. 
Spielzeugmuseum Sonneberg

Die Stadt liegt im Herzen einer Region, die schon seit jeher eine Hochburg der Spielzeugproduktion ist. Bereits seit dem Mittelalter entstehen hier industriemäßig Spielwaren. Aber auch kunstvolle Einzelstücke verlassen bis heute die Werkstätten der Kunsthandwerker. Im Gebäude der ehemaligen Kunstschule bewahrt bereits seit 1901 das Deutsche Spielzeugmuseum die Schätze dieser Tradition. Von archäologischen Fundstücken aus dem alten Ägypten bis hin zu modernem Hightechspielzeug werden zahllose Exponate gezeigt. 



Als besonderes Highlight der Sammlung gilt das Thüringer Kirmes-Panorama mit seinen lebensgroßen Tier- und Menschenfiguren. Sonneberger Spielzeugmacher fertigten es 1910 für die Weltausstellung in Brüssel an, wo es mit dem Grand Prix ausgezeichnet wurde. Leider befand sich das Panorama während meines Besuchs in der Restauration und es waren nur einige wenige Figuren daraus zu sehen.
Figuren aus dem Kirmespanorama

Sonneberg, das sich selbstbewusst Weltspielwarenstadt nennt, ist jedoch mehr als nur der Standort des Spielzeugmuseums. Es ist auch das Tor zum Thüringer Wald. Direkt hinter dem Ortsausgang geht es hinein in das grüne Herz des Bundeslandes. Die Straße mäandert um wilde Felsformationen und folgt wilden Bachläufen. Enge Wechselkurven und der teilweise schlechte Straßenzustand bringen selbst einen 50er Roller an seine Leistungsgrenzen und es ist volle Konzentration notwendig. 


Trotzdem verfliegen die Kilometer bis nach Saalfeld an der Saale wie im Fluge. Am späten Nachmittag erreiche ich dort mein Tagesziel, den Campingplatz Saalecamp direkt am Ufer des namensgebenden Flusses. Dort baue ich mein Zelt auf und unterhalte mich mit dem Platzbesitzer. Der optisch an Crocodile Dundee erinnernde, ausgesprochen freundliche Zeitgenosse gibt mir den Tipp am Abend in die Stadt zu fahren. Denn die Altstadt würde um diese Zeit besonders schön aussehen. Daher beschließe ich zum Abendessen in die Innenstadt zu fahren. Der Neos läuft, vom Gepäck befreit, wunderbar leicht auf der Campingplatzausfahrt, doch dann bremst der Fehlerteufel meinen Enthusiasmus mit bösartiger Effizienz ein. Die wilde Schlachlochpiste bei Sonneberg hat offenbar das Hinterrad des Rollers zerstört. Der Motor dreht nur noch kraftlos hoch, denn die Antriebswelle rotiert nutzlos in der völlig rundgerissenen Verzahnung der Felge. Ziemlich deprimiert schiebe ich den Roller zum Campingplatz zurück und analysiere die Situation. 

viel ist von der Verzahnung nicht übrig

Schnell ist klar, dass ich hier mit Bordmitteln nicht weiter komme. Ich brauche ein neues Hinterrad, doch woher soll ich das hier in Saalfeld nehmen? Im Ort gibt es einen Yamahahändler, doch dieser kann mir nicht mehr helfen. Zwar bekomme ich den Meister auch zur späten Stunde ans Telefon, aber eine neue Felge müsste er bestellen, was mindestens eine Woche dauert. Also rufe ich in der Heimat an, ich habe dort zum Glück liebe Menschen die mich in jeder Situation unterstützen. Eine Freundin fährt noch in der Nacht zu meiner Werkstatt und sucht aus dem Fundus ein passendes Hinterrad heraus. Am nächsten Morgen will sie damit nach Saalfeld fahren und es sollte möglich sein, dass ich die Tour fortsetzen kann.


2. Tag
Tatsächlich steht sie bereits um 10 Uhr am nächsten Morgen vor dem Tor des Campingplatzes. Das zerstörte Hinterrad des Rollers hatte ich ja schon am Abend zuvor ausgebaut und so bleibt jetzt nur noch die Aufgabe, den Reifen auf die Ersatzfelge ummontieren zu lassen. Wir fahren zwei Reifendienste an, doch in beiden kann oder will man mir nicht helfen. Zuletzt rettet eine Firma den Tag, die eigentlich edle Sportwagen aus Norditalien verkauft. Ein großer goldener Kampfstier ziert die Wand vor der der Mechaniker meinen Reifen von der Schrottfelge auf das Ersatzteil umzieht. Nicht einmal eine Bezahlung wollte er dafür und so blieben mir nur ein herzliches „Dankeschön“ und ein großzügiges Trinkgeld für meinen Retter. 
Gegen Mittag kann ich Saalfeld hinter mir lassen und in an Jena vorbei nach Weimar fahren. Dort vermeide ich die Wohnstätten von Friedrich Schiller und Johann Wolfgang von Goethe, denn diese sind von zahllosen Touristen belagert. Das Denkmal, das den beiden Popstars der Weimarer Klassik vor dem Nationaltheater gesetzt wurde ist leider verhüllt, denn die beiden Dichterfürsten sind renovierungsbedürftig. Darum erkunde ich noch etwas die Stadt und entdecke das Reiterstandbild Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach. Der Mann mit dem monströsen Namen war der wichtigste Förderer und Gönner von Schiller und Goethe in ihrer Weimarer Zeit. Entsprechend dankbar sind die Literatur- und Lyrikfreunde der Welt ihm bis heute. Ich fotografiere den in Bronze verewigten Großherzog kurz und fahre dann weiter, raus aus der Stadt und in das mit lichten Buchenwäldern bestandene Hügelland. Diese Buchenwälder waren namensgebend für einen Ort, der symbolisch für ein besonders finsteres Kapitel der deutschen Geschichte steht: Das Konzentrationslager Buchenwald.

Zwischen 1937 und 1945 fanden an diesem Ort über 50.000 Menschen, auf grausigste Art und Weise, den Tod. Das von den Nationalsozialisten als Arbeitslager bezeichnete KZ diente in besonderem Maße der „Vernichtung durch Arbeit“. Traurig ist, dass es nach seiner Befreiung durch die Rote Armee im Jahre 1945 nicht geschlossen wurde. Die Russen nutzten es weiter als Kriegsgefangenenlager und wieder fanden viele Menschen hier einen sinnlosen und grausamen Tod. Es ist bezeichnend, dass die Zufahrt zum Lager bis heute Blutstraße genannt wird. In den Jahren 1938/39 wurde sie von den Lagerinsassen gebaut. Es ist ein seltsames Gefühl, 70 Jahre später, mit dem Roller über das historische Pflaster dieser Straße zu fahren.
die Blutstraße zum KZ Buchenwald
Von den Anlagen des Lagers sind nur Reste übrig. Ein Mahnmal erinnert an die Toten, deren genaue Zahl bis heute nicht bekannt ist. Ich bin an diesem Tag der einzige Besucher und es liegt eine tiefe Stille über dem Gelände. Selbst die Natur scheint hier in stiller Trauer zu schweigen, kein Vogel ist zu hören und die Bäume bewegen sich in der völlig windstillen Luft nicht. Selbst einem aufgeklärten Menschen läuft es hier eiskalt den Rücken herunter und man glaubt, die anklagenden Stimmen der Geister zu hören. Nach einem einsamen Rundgang durch die Gedenkstätte steige ich wieder auf den Roller und fahre weiter. Diesmal in Richtung Erfurt. Über die B7 rollere ich in immer noch nachdenklicher Stimmung auf die Landeshauptstadt zu, als ich ein weiteres Denkmal der Geschichte entdecke.
Reste der Buchenwaldbahn

das Mahnmal für die Opfer


Erfurt war 1808 Schauplatz des sogenannten Fürstenkongress. Zar Alexander 1. und Napoleon Bonaparte schlossen hier einen Bündnisvertrag, den aber beide kurze Zeit später brachen. Am 14. Oktober 1808 verabschiedete Napoleon den russischen Monarchen außerhalb von Erfurt. Eine Gedenksäule neben der Bundesstraße erinnert heute an dieses Ereignis. Ich halte hier kurz an und genieße die Geräusche der Natur.
Die dunklen Geister Buchenwalds verlassen mich hier und verschwinden, gemeinsam mit dem Zaren und Napoleon, in den Nebeln der Vergangenheit. Vor mir liegt die Zukunft in Gestalt des hektischen Nachmittagsverkehrs in der Erfurter Innenstadt. Ich beeile mich auch, denn ich will noch mein Tagesziel erreichen: Die geographische Mitte Deutschlands nahe der kleinen Ortschaft Niederdorla.


Dies vereitelt jedoch eine Macht die ebenso unerbittlich ist wie die Geschichte: das Wetter. Kurz hinter Erfurt gerate ich in einen Sommersturm der heftigsten Art. Starkregen gemischt mit Hagel und heftigsten Windböen zwingen mich dazu den Roller absichtlich in den Straßengraben zu steuern, ihn hinzulegen und mich neben dem Fahrzeug zu ducken. Weiterfahren ist unmöglich und ich muss das Unterwetter buchstäblich aussitzen. Glücklicherweise ist der Spuk nach wenigen Minuten vorbei, ich bin jedoch total durchweicht und demotiviert. Die nächste Ortschaft ist Bad Langensalza und ich suche mir dort eine Bleibe für die Nacht. Das Hotel Bergstube lockt mich und es ist tatsächlich ein Zimmer frei. 
In der warmen Stube breite ich meine völlig durchnässte Reiseausrüstung aus und ruhe mich etwas aus. Nach dem Abendessen erkunde ich den kleinen, malerischen Kurort noch etwas und bin begeistert. Das Unwetter hat mir einen Aufenthalt in einem wunderschönen Ort verschafft und ich lege mich am Abend ausgesprochen zufrieden und müde ins Bett.




auf Zeitreise ?

 
3. Tag
Der nächste Tag beginnt mit einem ausgiebigen Frühstück und einer Unterhaltung mit dem Hotelbesitzer. Er erklärt mir wie ich am besten nach Niederdorla komme und ich verabschiede mich fröhlich. Es sind nur wenige Kilometer von Bad Langensalza zu meinem Ziel und ich erreiche die zweitausend Seelen Gemeinde noch am frühen Vormittag. Etwas außerhalb des Orts befindet sich einer der Mittelpunkte Deutschlands.
Das Problem bei der Ermittlung der exakten geographischen Mitte meines Heimatlandes ist, dass es verschiedene Verfahren gibt. Der „offizielle Mittelpunkt“ ist jedoch die von den Doktores Finger und Förge ermittelte Stelle, etwa 500m außerhalb der kleinen thüringischen Ortschaft. Die Position ist 51°10‘ nördlicher Breite zu 10°27‘ östlich von Greenwich. 1991 wurde hier eine Kaiserlinde gepflanzt und ein Markstein errichtet. Da dieser laut meinem GPS-Gerät nicht exakt auf der Mitte steht, kann ich meinen Roller genau auf jedem Punkt platzieren. Ein seltsam befriedigendes Gefühl.
der Klingonenkreuzer steht exakt im Mittelpunkt, zumindest nach meiner Messung ;)

Vom geographischen Mittelpunkt nur durch die Gemeindestraße getrennt, befindet sich ein weiterer sehenswerter Ort. Das germanische Opfermoor von Niederdorla. Zwischen dem 6. vorchristlichen Jahrhundert und dem 11. Jahrhundert unserer Zeitrechnung diente das Moor als Kultplatz und Opferstätte. Torfstecher fanden im Moor zahllose Artefakte und menschliche Überreste die von den Objekt- und Menschenopfer erzählen, die unsere Ahnen hier ihren Göttern darbrachten. Heute befinden sich die meisten der archäologischen Fundstücke im Museum in Erfurt. In Niederdorla hat man neben dem Moor eine germanische Siedlung rekonstruiert und veranschaulicht so das Leben unserer Vorfahren.


Von Niederdorla aus lenke ich den Roller zunächst zurück nach Bad Langensalza und dann weiter in Richtung Süden auf Gotha zu. 
Die ehemalige Residenzstadt des Herzogtums Sachsen-Gotha ist kein übliches Reiseziel sondern eher ein oft übersehenes Juwel der Geschichte. Glaubt man den Legenden, so sollen Krieger des Gotenkönigs Theoderich die Stadt um da Jahr 510 herum gegründet haben. Sicher belegt ist hingegen, dass Gotha als Haupt- und Residenzstadt der Herzogtümer Sachsen-Gotha und (ab 1826) Sachsen-Coburg gut 200 Jahre lang ein Brennpunkt europäischer Politik war. In dieser Zeit war sie auch eine Hochburg der schönen Künste und der Wissenschaft sowie ein wirtschaftliches Zentrum. So verwundert es kaum, dass hier im Jahre 1820 die Gothaer Versicherungsgesellschaft gegründet wurde. Diese besteht bis heute und legte den Grundstein des modernen Versicherungswesens in Deutschland. Aber auch technologisch wurden hier einst Höchstleistungen erbracht. Die Gothaer Waggonbaufabrik war im Ersten Weltkrieg einer der wichtigsten Lieferanten moderner Kampfflugzeuge für die deutschen Streifkräfte. Der als „Riesenflugzeug“ bekannte schwere Bomber Gotha G1 war seinerzeit das größte Flugzeug der Welt. Ich für meinen Teil bewege mich lieber auf friedlicherem Terrain und besuche den alten Herzogspalast, der heute ein Museum beherbergt. Doch das Wetter ist zu gut um den Tag in den düsteren Räumen zu verbringen, lieber gehe ich in den herrlichen, nach englischen Vorbildern geschaffenen, Anlagen des Schlossparks spazieren.

Wer von Gotha aus nach Süden reist, bemerkt schnell die Veränderung der Landschaft. Von den weiten, welligen Hochebenen Mittelthüringens, an deren Rand die Stadt liegt, geht es in die Ausläufer des Thüringer Waldes. Die Landschaft wird rauer, zerklüfteter und waldiger. Auf sanft geschwungenen Straßen, durch Wälder und Täler, erreicht man so die wohl berühmteste Stadt Thüringens: Eisenach.



Rund um die kreisfreie Stadt sollten sich die Aktivitäten der nächsten Tage abspielen, darum verzichtete ich erst einmal darauf die bekannteste Touristenattraktion Eisenachs zu besuchen. Die Wartburg stand für den nächsten Tag auf dem Programm. Stattdessen lenkte ich den Roller in die Altstadt und suchte einen Parkplatz. Mit etwas Glück war einer in unmittelbarer Nähe meines Zieles zu finden. Das Geburtshaus von Johann Sebastian Bach befindet sich in zentraler Lage in Eisenach. Am 21. März 1685 wurde der spätere Komponist, Dichter und Thomaskantor hier geboren. Das bescheidene Stadthaus mit seinen trüben Butzenfenstern steht in einem seltsamen Kontrast zum direkt angeschlossenen modernen Kulturzentrum. 
Bachhaus Eisenach

Glücklicherweise verirrten sich an diesem Tag nur wenige Touristen zwischen die altehrwürdigen Mauern des Bachhauses. Während eines einsamen Rundgangs konnte ich den Ort so in aller Ruhe auf mich wirken lassen. Das Bachhaus ist wunderschön erhalten und beherbergt eine ausgesprochen sehenswerte und interessante Ausstellung von historischen Musikinstrumenten und Dokumenten zum Leben Bachs und seiner Familie. Hier ist der Geist dieses Titanen der Musikgeschichte auf wundersame Weise greifbar und ich verweile länger ich zunächst geplant hatte. 
Leider fällt beim Verlassen des Bachhauses der Blick auf den Platz vor dem Gebäude. Eingerahmt von wunderschön restaurierten Stadthäusern reihen sich Reisebusse auf. Wie gestrandete Wale drängen sich diese auf Hochglanz polierten Giganten in der historischen Stadt. Anstelle von Bachs lieblicher Musik hört man das dumpfe Brummen von Dieselmotoren und Stimmengewirr. Ein befremdlicher Kontrast zur altehrwürdigen Stadtkulisse.

Dabei ist Eisenach einer der Städte Ostdeutschlands, die am weitesten von den Sünden realsozialistischer Betonmischerarchitektur verschont blieben. Die Stadt wurde nach der Wende ebenso auf Hochglanz poliert wie die Busse der Reiseveranstalter. Lediglich das uralte, völlig abgeschliffene und stellenweise spiegelglatte Kopfsteinpflaster zeugt noch von den vielen Jahren des Verfalls. Mein Roller hoppelt darauf fröhlich einher als ich zum Campingplatz weiter fahre. Der Altenberger See ist nicht weit von Eisenach entfernt und so kann ich bald mein Zelt aufschlagen. Direkt am Ufer des Sees bereite ich mein Abendessen zu. 
Nach dem Essen fahre ich noch einmal los und besuche die nahegelegene Ortschaft Möhra. Der Ort bezeichnet sich als Lutherstammort, was sich darauf bezieht, dass die Familie des Reformators hier ihren Ursprung hatte. Die offizielle, auf zeitgenössischen Dokumenten basierende, Geschichtsschreibung verzeichnet bekanntlich Eisleben als Geburtsort des Reformators, doch es gibt auch Theorien, die seine Geburt weiter nach Süden, eben nach Möhra, verlegen. Mögen sich die Gelehrten über solche Ungereimtheiten der Geschichte streiten, mir ist es herzlich egal und ich genieße viel lieber die Fahrt durch die malerische Landschaft. In Möhra finde ich das Lutherdenkmal am Dorfplatz, das an einen Besuch des Reformators im Jahre 1521 erinnert.



4. Tag
Ich bin einen Tag vor Markus und Andre in Eisenach angekommen und habe daher am nächsten Morgen nichts weiter zu tun, als auf die beiden zu warten. Doch auf dem Campingplatz herum zu sitzen wiederstrebt mir. Darum mache ich einen Ausflug nach Bad Liebenstein. Die Kleinstadt gilt als ältestes Heilbad Thüringens, denn es erhielt diesen Status bereits 1907 und war zu DDR-Zeiten der größte Herzkurort des Landes. Außerdem zählte Bad Liebenstein ab 1849 Friedrich Fröbel zu seinen Bürgern, der Begründer des modernen Kindergartenwesens hatte hier ein Wohnhaus erworben. Das Gebäude beherbergt heute das Hotel Fröbelhof, einen eleganten Gasthof.
Ganz in der Nähe dieser guten Adresse beginnt der Fußweg durch den Wald, hinauf auf den Burgberg. Hoch über der Stadt grüßt die Ruine der Burg Liebenstein und lädt Wanderer zum Verweilen ein.


Das schaurig-schöne Gemäuer der Ruine lässt doch erahnen, wie wehrhaft die Höhenburg einst war. Von Mauern, Zinnen und Wallanlagen geschützt, gewährte sich im damals häufigen Kriegsfalle den Liebensteinern Sicherheit vor dem Feind. Tatsächlich wurde die Burg nie erobert, erst ihre Aufgabe im Jahre 1667 führte zu ihrem langsamen Verfall.


Der kleine Ausflug nach Bad Liebenstein war genau richtig gewesen, denn nur wenige Minuten nach meiner Rückkehr zum Campingplatz traf Andre dort ein. Wir aßen im Restaurant des Platzes zu Mittag und fuhren dann wieder los, etwas Zubehör für den geplanten Grillabend besorgen. Mit Thüringer Bratwurst und Getränken kamen wir einige Zeit später zurück und fanden Markus vor, der kurz vorher angekommen war. 
Unsere Gruppe war damit komplett und einem gemütlichen Grillabend stand nichts mehr im Wege.
teilweise ließ die Verpflegung zu wünschen übrig ...


5. Tag
Den ersten gemeinsamen Tag begannen wir mit einem gemütlichen Frühstück am Campingplatz bevor wir nach Eisenach fuhren. Kurz nach Öffnung der Tore ist die Wartburg noch nicht so extrem überrannt und wir konnten die berühmte Festung in Ruhe erkunden. Bekannt ist die Wartburg, die im 11. Jahrhundert errichtet wurde, vor allem wegen des Aufenthalts von Dr. Martin Luther in den Jahren 1521 und 22. Unter der Deckidentität Junker Jörg verbarg er sich hier vor seinen Feinden und arbeite an seiner Übersetzung der Bibel ins Deutsche. Es ist jedoch sehr wahrscheinlich, dass Luther die Wartburg in ihrem heutigen Erscheinungsbild nicht erkennen würde. Ein Großteil der heute zu sehenden Gebäude stammt aus dem 19. Jahrhundert und ist historisch nicht korrekt. Von der mittelalterlichen Wartburg ist kaum etwas erhalten. Zu den wenigen im Original erhaltenen Teilen zählen die Wehranlagen der Burg. Es ist noch immer gut zu erahnen, welchen Eindruck diese Bollwerke auf die Zeitgenossen Dr. Luthers gemacht haben müssen. Ein feste Burg, ein gute Wehr und Waffen, wie es in einem von ihm gedichteten Liedtext heißt, ist dies tatsächlich einst gewesen.





Doch all die mittelalterlichen Schutzwälle nützen nichts gegen neuzeitliche Touristenströme. Vor ihrem Einfall fliehen wir, zurück nach Eisenach. Ruhiger geht es da heute an einem Ort zu, der vor gar nicht so langer Zeit noch vom Lärm der Industrie erfüllt war. Das ehemalige AWE-Werk am Rand der Stadt ist historisch von großer Bedeutung. Von den Pioniertagen des Automobilbaus bis in die frühen 1990er Jahre entstanden hier Wagen unterschiedlicher Marken. Bis heute bekannt sind die Lizenzbauten des Austin Seven, die hier als Dixi entstanden. Ende der 1920er Jahre übernahm BMW das Werk und baute hier seine ersten Autos. Die Wiege der bis heute berühmten BMW-Sportwagen der 1930er Jahre stand nicht an der Isar sondern hier in Thüringen. Nach dem Krieg wurden veränderte BMW-Typen als EMW weiter gebaut und später durch die Fahrzeuge der Marke Wartburg abgelöst.

Heute steht ein Großteil der Fabrikanlagen leer und verfällt langsam. In einem Nebengebäude existiert jedoch ein kleines Museum, dessen Besuch uns jedoch verwehrt blieb. Wir fuhren daher zunächst zum Campingplatz zurück um zu Mittag zu Essen.


Leichter Regen ließ und überlegen wie wir den Nachmittag verbringen sollten. Die eigentlich geplante Ausfahrt durch den Thüringer Wald erschien wenig verlockend, weshalb wir sie auf den Kernpunkt abkürzten. Andres Familie hat ihre Wurzeln in Thüringen und er wollte daher den Ort Ruhla besuchen. In Ruhla bekamen wir den Tipp, nach Kittelsthal zu fahren. Dort gäbe es eine sehenswerte Tropfsteinhöhle. Angesichts des mäßigen Wetters eine verlockende Idee. Gesagt, getan!


Die Tropfsteinhöhle von Kittelsthal schließt sich an ein altes Bergwerk an. Die Bergleute, die hier Schwerspat förderten, entdeckten die Höhle im Jahre 1888 durch Zufall. Sie beherbergt ein besonderes Naturwunder, die große Pyramide, einen der größten Tropfsteinmonolithen Europas. Für die Besucher führt der Weg durch den ehemaligen Bergwerksstollen hinab in die Tiefe. 228 Stufen überbrücken die gut 48 Meter Höhenunterschied. 



Als wir nach der kurzweiligen Führung wieder an der Erdoberfläche angekommen sind, ist auch die Sonne wieder da. Fröhlich rollern wir zurück zum Campingplatz und beschließen den Tag im Platzrestaurant und am Lagerfeuer.


6. Tag
Früh am Morgen nehmen wir Abschied, voneinander und von Thüringen. Für mich geht es in direkter Linie nach Hause, denn der nächste Tag ist für mich wieder ein Arbeitstag. Durch die Rhön rollere ich zurück in Richtung Bayern. Vorbei an Coburg und Nürnberg, auf teilweise schon von der Anfahrt her bekannten Strecken. Nach nasskaltem Regenwetter in der Rhön hole ich bei Coburg und im Maintal die Sonne ein. 
Den Kopf voll schöner Erinnerungen geht es in die Heimat. Diese Woche verging viel zu schnell, aber ich freue mich trotzdem wieder zu Hause anzukommen. Die Vorfreude auf die nächste Tour ist aber, wie immer in solchen Momenten, schon da.

 





 


 








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